Prof. Dr. Harald Jung war Ökonom, Theologe und Wirtschaftsethiker und lehrte zuletzt an der Internationalen Hochschule Liebenzell. Er starb unerwartet mit 57 Jahren am 20.01.2024 und hinterließ seine Frau und zwei Kinder. In Erinnerung an ihn folgt anbei eine Zusammenfassung eines Beitrags von ihm, der im Sammelwerk „Ohne Familie ist kein Staat zu machen“ (Herder, 2018, S.251-262) veröffentlicht wurde und die er als „eine“, einladende evangelische Position verstand.
Harald Jung führt in seinem Beitrag aus, dass es die Familie ist, die trotz aller Angefochtenheit und Konflikte vor allem „emotionale Verlässlichkeitserfahrungen“ bietet und mit Kindern und der Erziehungs- und Fürsorgeleistung für Perspektive und Zukunft sorgen. Sie bringt damit wesentliche positive „externe Effekte“ für den Staat hervor, der gut daran tut diese durch die Stärkung von Familien zu kompensieren.
Als Menschen sind wir ein aus Familienzusammenhängen kommendes Wesen. Erst in der Begegnung eines „Du“, die zu zuallererst im familiären Nahraum erlebt wird, werden wir zu einem „Ich“. Darin gewinnen wir eine Ahnung von einer vorgängigen, grundlegenden Bestimmung zur personaler Beziehung, von einem „ewigen Du“ als transzendenten Grund unseres Daseins. Jesus selbst verwendet das Bild von Familie wenn er im „Vater unser“ über unsere Gottesbeziehung spricht. Als einzelne Person sind wir nach biblischem Verständnis von Gott „bei unserem Namen gerufen“ und als Individuum auch für unsere Handeln selbst verantwortlich und nicht nur Teil eines Kollektivs. Dennoch stehen wir nicht in einer blanken, selbstgesetzten Beziehungslosigkeit, in der wir „uns selbst der Nächste sind“ und den anderen nur über seine „Nutzenfunktion“ in den Blick nehmen.
Egal ob wir religiöse Perspektiven und christliche Traditionen ersetzen durch vermeintliche aktuellere oder „objektivere“, naturalistisch-biologische oder soziologische Erklärungsmodelle. Wir alle sehen uns als handelnden Subjekte der Aufgabe gegenüber gestellt, worauf wir unser Handeln und Leben als tragende Sinnperspektive setzen. Worauf wir im letzten Vertrauen, das, worauf wir unser Leben ausrichten, wird uns zu Gott. Aus christlicher Sicht fragen wir, wozu uns Gott als Schöpfer und Erhalter unseres Lebens und als unser Erlöser, Ziel und „Vollender“ berufen hat, welche Spuren seines schöpferischen Geist wir in uns finden. Die Antworten darauf prägen Mentalitäten und Kulturen, wie schon Max Weber nachgewiesen hat.
Das Lutherische Berufungsverständnis verdeutlichte, dass wir schon in den „weltlichen Bezügen“ unseres alltäglichen Lebens mit unseren Nächsten in unserem normalen Beruf unsere göttliche Berufung leben und unser Handeln „in Gottes Auftrag“ verstehen und verantwortungsvoll ausüben. Gerade weil wir „in Christus“ als „Christenmenschen“ schon „gerechtfertigt“ und in Gemeinschaft mit Gott sind, sollen wir uns quasi als Antwort in unseren weltlichen Bezügen uns von Gott berufen und an diesem Ort zum Dienst am Nächsten gestellt wissen. Dies ist nicht nur auf die Erwerbsarbeit begrenzt sondern gerade auch ist Elternschaft, Vater- und Muttersein ein göttlicher Auftrag, „Beruf“ und Berufung, ein „kostbares, vornehmes Amt“. In diesem will Gott durch uns wirken. Dies gibt dem Wirken in der eigenen Familie – ohne sie selbst zum Gott zu machen – viel mehr Bedeutung, als wenn sie nur eine rein nützliche Institution zur Stabilisierung und Reproduktion gesellschaftlichen Lebens ist.
Das lutherisches Begriff vom „Amt“ erweitert Bonhoeffer als lebendiges „Mandat“ und benennt, ohne abschließend zu sein, die vier Bereiche „Kirche und Gemeinde“, „Staat, Recht und Obrigkeit“, „Arbeit und Kultur“ sowie „Ehe und Familie“. In diesen haben wir jeweils einen göttlichen Gestaltungsauftrag zur verantwortlichen Mitwirkung in seiner Schöpfung. Keines der Mandate hat aber selbst „ein Mandat“ in das andere hineinzuregieren. Sondern stattdessen haben sie den Auftrag, einander zu dienen und in ihrem jeweiligen Amt zu unterstützen. Für das Verhältnis Staat/Politik und Familie sowie Wirtschaft und Familie bedeutet dies, dass Familie selbst eine in Gottes Schöpfungsabsicht begründeten Würde hat und sich selbst nicht aus ihrer gesellschaftlichen Leistung rechtfertigen muss. Denn in ihr als einer wesentlichen Form verwirklicht sich menschliches, menschenwürdiges Leben. Umgekehrt haben die anderen Mandatsbereiche einen wesentlichen Dienst an ihr zu erfüllen. Der Staat – wie auch der Bereich der Wirtschaft – soll die Familie nicht nur wegen ihrer Leistungen fördern, auch wenn er aus ihren Ressourcen für sich selbst schöpft. Sondern der Staat ist selbst für die Ermöglichung und Sicherung eines menschlichen Lebens da. Und menschliches Leben wird nicht zuletzt in Familien als ein „Schöpfungs-Mandat“ ausgedrückt und verwirklicht. Ein Staat, der Familien nicht fördert, verfehlt einen wesentlichen Teil seines eigenen Auftrags und seiner Berechtigung, seines Mandats. Dann würde der Staat zu einer Art „herrenloser Gewalt“ werden, die sich selbst dient als „selbstbezügliches System“ das seiner „eigenen Logik“ und nicht mehr seinem humanen und – christlich gesprochen – geschöpflichen Auftrag folgt, sondern ihn in wesentlichen Zügen verfehlt.
Denn der Gott, an den wir Christen glauben und von dem wir unser Leben verstehen, ist (im Wortsinn) ein „Phil-Anthrop“, ein „Freund“ des Menschenlebens. So sehr, dass er seinen eigenen Sohn gab (Joh. 3,16) – und sich darin ja sogar selbst im Bild einer familiären Beziehung vorstellt.